Allgemeines
17.10.2024

Weiterhin erschreckende Resultate zu IV-Gutachten

Der Schlussbericht zur Meldestelle für Opfer der IV-Willkür von Inclusion Handicap zeichnet ein erschreckendes Bild über das Gutachterwesen in der IV. Zwar zeigen im Rahmen der IV-Weiterentwicklung eingeführte Massnahmen eine gewisse Wirkung. Die Qualität der Gutachten und die darin gestellten Diagnosen sind jedoch weiterhin häufig nicht haltbar. Inclusion Handicap fordert klare Verbesserungen und eine lückenlose Aufklärung der Missstände.

Das Gutachterwesen in der IV ist höchst problematisch: Häufig erstellen externe Expert:innen tendenziöse Gutachten auf Kosten der Versicherten. Sie stufen die Arbeitsfähigkeit oftmals deutlich höher ein als die Ärztinnen und Ärzte der Betroffenen. Diese Problematik ist Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz, aus seiner langjährigen Rechtsberatungstätigkeit bekannt. Inclusion Handicap hatte 2020 eine Meldestelle für die Opfer der IV-Willkür eröffnet (siehe Medienmitteilung vom 22.12.2019) sowie einen Zwischenbericht und einen Auswertungsbericht erstellt.

Nach Inkrafttreten der IV-Weiterentwicklung per 1. Januar 2022 folgte eine zweite Meldestelle mit dem Ziel, die Begutachtungen nach dem alten Recht mit den Begutachtungen nach dem neuen Recht zu vergleichen. Die beiden Umfragen richteten sich sowohl an Versicherte mit einem IV-Gutachten als auch an deren Rechtsvertreter:innen und behandelnde Ärztinnen und Ärzte. Nachdem Inclusion Handicap nun beide Umfragen geschlossen hat, wurden die Ergebnisse ausgewertet und ein Schlussbericht mit den wichtigsten Erkenntnissen erstellt. Er macht deutlich: Verbesserung im Gutachterwesen sind dringend notwendig.

Neuerungen der IV-Weiterentwicklung reichen nicht aus
Der Vergleich der Meldungen zu den Begutachtungen nach altem und neuem Recht lässt auf gewisse Verbesserungen durch die Neuerungen der IV-Weiterentwicklung schliessen. So scheint sich die Tonbandaufnahme der Gutachtergespräche positiv auf das Gesprächsklima, den Gesprächsablauf und die Gesprächsdauer auszuwirken. Hatten bei den Begutachtungen nach dem alten Recht bspw. zwei Drittel der Befragten das Gesprächsklima als sehr schlecht oder schlecht empfunden, reduzierte sich dieser Wert bei den Begutachtungen nach dem neuen Recht auf die Hälfte. Beim Inhalt der Gutachten und vor allem bei den gestellten Diagnosen zeigten sich im Vergleich zu den Begutachtungen nach altem Recht hingegen keinerlei Verbesserungen. Im Gegenteil, mit 82 Prozent gab es bei den Begutachtungen nach dem neuen Recht – im Vergleich zu 74 Prozent bei den Begutachtungen nach dem alten Recht – sogar mehr Meldungen, wonach die Gutachter:innen zu teilweise oder komplett anderen Diagnosen kamen.  

Eine detaillierte Auswertung der beiden Meldestellen ist im Schlussbericht festgehalten.

Dringender Handlungsbedarf weiterhin gegeben
Aus der Umfrage ergibt sich also ein ernüchterndes Bild, denn in zahlreichen der gemeldeten Fälle wurden die Gutachter:innen den Versicherten nicht gerecht. Deshalb bleiben die von Inclusion Handicap in der Vergangenheit geäusserten Forderungen weiterhin bestehen:  

  • Die IV muss die Qualität der Gutachten in jedem Fall sicherstellen. Fehlbare Gutachter:innen und Gutachterstellen dürfen keine weiteren Aufträge mehr zur Erstellung von Gutachten erhalten.
  • Fälle, bei denen Versicherte keine oder zu wenig IV-Leistungen erhalten haben, weil die Qualität der Gutachten nachweislich schlecht war, müssen neu aufgerollt werden.
  • Bei der Vergabe von Gutachten, die nicht nach dem Zufallsprinzip erfolgt, muss ein konsequentes Einigungsverfahren durchgeführt werden.  
  • Beim Gutachtergespräch soll eine Drittperson anwesend sein.

Politische Vorstösse fordern Aufarbeitung des PMEDA-Skandals
Besonders empörend sind die Enthüllungen über die Gutachterstelle PMEDA in einer neuen SRF-DOK. Im Anschluss daran wurden in der Herbstsession 2024 mehrere parlamentarische Vorstösse eingereicht, unter anderem auch von Islam Alijaj, Nationalrat (SP/ZH) und Vorstandsmitglied von Inclusion Handicap. Die in der SRF-DOK aufgezeigten grossen Probleme bei den Gutachten der PMEDA wirken sich dauerhaft und einschneidend auf das Leben vieler Betroffener aus. Für Inclusion Handicap ist daher klar: Fälle, in denen ein Rentenanspruch gestützt auf ein PMEDA-Gutachten abgelehnt wurde, müssen neu aufgerollt werden.  

Auskunft
Petra Kern, Leiterin Abteilung Sozialversicherungen Inclusion Handicap
079 714 07 37