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    Allgemeines
    10.7.2024

    Handicap und Politik 3/2024

    In Handicap und Politik 3/2024: Der Rückblick auf die Sommersession, ein griffiger Vorentwurf für ein Gleichstellungsgesetz in Genf, der Rückblick auf die BRK-Vertragsstaatenkonferenz in New York und die Erfolgsmeldung zur Unterschriftensammlung der Inklusions-Initiative: Wir haben es geschafft!

    Rückblick auf die Sommersession: Nationalrat

    Heizkosten werden bei der EL weiterhin nicht vollständig berücksichtigt
    Die parlamentarische Initiative von Michael Töngi (Grüne/LU) verlangte, dass Nachforderungen im Rahmen der Nebenkostenabrechnung durch die Ergänzungsleistungen (EL) übernommen werden. Diese sind heute nicht durch die EL gedeckt, da bei der Berechnung der EL nur die Akonto-Zahlungen berücksichtigt werden. Dementsprechend stieg die Zahl der Anfragen um finanzielle Unterstützung, zum Beispiel bei Pro Infirmis, im Jahr 2023 stark an. Inclusion Handicap hatte dem Nationalrat empfohlen, der parlamentarischen Initiative zuzustimmen. Zur Enttäuschung des Dachverbands lehnte der Nationalrat diese jedoch ab.

    Sterilisationsgesetz: Stellungnahme der Ethikkommission wird abgewartet
    Die Sterilisation von Menschen mit Behinderungen ohne deren Zustimmung verstösst gemäss UNO-Behindertenrechtsausschuss gegen das Recht auf physische und psychische Unversehrtheit (Art. 17 Behindertenrechtskonvention). Die Motion von Laurence Fehlmann Rielle (SP/GE) fordert den Bundesrat auf, das Sterilisationsgesetz dahingehend zu ändern, dass Sterilisationen nur durchgeführt werden dürfen, wenn betroffene Personen frei und nach umfassender Aufklärung zustimmen. Der Bundesrat hat die nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin aufgefordert, eine Stellungnahme abzugeben, was zu begrüssen ist. Weil die Stellungnahme zum Zeitpunkt der traktandierten Behandlung des Geschäfts in der Sommersession noch nicht vorlag, wurde die Motion vorgängig zurückgezogen. Sobald die Stellungnahme der Ethikkommission vorliegt, wird eine Gesetzesänderung noch einmal zu diskutieren sein.

    Schweizer Rechtsgrundlagen sollen besser auf UNO-BRK abgestimmt werden
    Der Nationalrat hat das Postulat von Gabriela Suter (SP/AG) zur Verbesserung der Vereinbarkeit der Schweizer Rechtsgrundlagen mit dem Behindertengleichstellungsrecht angenommen. Damit wird der Bundesrat beauftragt, die Widersprüche zwischen den geltenden Rechtsgrundlagen und dem Schweizer Behindertengleichstellungsrecht zu analysieren und zu dokumentieren. Das Postulat fordert zudem die Darstellung der notwendigen Anpassungen sowie die Entwicklung eines Prüfverfahrens, mit dem die Vereinbarkeit unserer Rechtsgrundlagen mit dem Behindertengleichstellungsrecht kontinuierlich gewährleistet werden kann. Inclusion Handicap ist über die Annahme des Postulats sehr erfreut. Es ist ein wichtiger Schritt, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz zu stärken.

    Export von ausserordentlichen IV-Renten weiterhin nicht möglich
    Renten von Personen, die mit einem Geburtsgebrechen auf die Welt gekommen sind (sogenannte ausserordentliche Renten), können heute nicht ins Ausland exportiert werden. Dies im Gegensatz zur grundsätzlichen Exportmöglichkeit von ordentlichen IV-Renten. Somit können sich Personen mit einer ausserordentlichen Rente nicht im Ausland niederlassen, wenn sie ihre Rente nicht verlieren wollen. Die Motion von Barbara Gysi (SP/SG) wollte diese unnötige Schlechterstellung gegenüber der ordentlichen IV-Rente abschaffen. Leider ohne Erfolg - der Nationalrat lehnte das Geschäft ab.

    Rückblick auf die Sommersession: Ständerat

    Live-Stream der Parlamentsdebatten wird barrierefrei
    Als Zweitrat hat der Ständerat den Entwurf zur parlamentarischen Initiative von Gabriela Suter (SP/AG), die eine rechtliche Grundlage für die Barrierefreiheit der Live-Streams der Parlamentsdebatten verlangt, angenommen. Somit muss der Live-Stream der Debatten von National- und Ständerat in Zukunft Barrierefrei sein. Insbesondere soll er mit Untertiteln versehen werden, damit auch gehörlose und hörbehinderte Menschen diese mitverfolgen können. Vorgesehen ist dazu der Einsatz einer Spracherkennungssoftware in zwölf bis achtzehn Monaten. Zusätzlich soll zu einem späteren Zeitpunkt geprüft werden, wie ausgewählte Debatten auch in Gebärdensprache übersetzt werden können. Inclusion Handicap freut sich, dass in Zukunft der Zugang zum politischen Geschehen barrierefreier gestaltet wird.

    Lösungen zur Verbesserung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gefordert
    Der Ständerat hat das Postulat «Handlungsoptionen bei der Krankentaggeldversicherung» einstimmig angenommen. Das Postulat entstand aus der Beratung der Sozialkommission des Ständerats zur Motion Romano 21.4209, die ein Obligatorium zur Krankentaggeldversicherung verlangt. Mit dem Postulat wird der Bundesrat beauftragt, aktuelle Probleme und verschiedene Lösungsmöglichkeiten für eine verbesserte Abdeckung der Lohnfortzahlungsrisiken im Krankheitsfall aufzuzeigen. Die fehlende obligatorische Krankentaggeldversicherung ist aus Sicht von Inclusion Handicap eine problematische Lücke im sozialen Netz. Dementsprechend begrüsst der Dachverband die Klärung offener Fragen und hofft, dass dies den Prozess für eine obligatorische Krankentaggeldversicherung unterstützt.

    Gleichstellung

    Genf gibt griffigen Vorentwurf für Gleichstellungsgesetz in Vernehmlassung
    Der Genfer Staatsrat hat am 12. Juni den Vorentwurf des Gesetzes über die Gleichstellung und Rechte von Menschen mit Behinderungen (LED-H) in die Vernehmlassung gegeben. Der Vorentwurf ist in Zusammenarbeit mit rund 40 Organisationen, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzen, entstanden. Mit dem Gesetz sollen die kantonalen Rechtsgrundlagen an die Verpflichtungen der UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) angepasst werden. Das Gesetz soll einen umfassenden Diskriminierungsschutz, die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung sowie ein selbstbestimmtes Leben und die vollständige Inklusion in die Gesellschaft fördern. Inclusion Handicap hat die Erarbeitung des Gesetzes in Zusammenarbeit mit der Juristischen Fakultät der Universität Basel im Rahmen eines Mandates begleitet. Der Dachverband freut sich, dass mit dem Kanton Genf nun nach Basel-Stadt, Basel-Land und dem Wallis ein weiterer Kanton die Verpflichtungen der UNO-BRK auf kantonaler Ebene konkretisiert.

    Inclusion Handicap an der UNO-BRK-Vertragsstaatenkonferenz in New York
    Inclusion Handicap war auch 2024 mit einer Delegation an der Vertragsstaatenkonferenz zur UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) in New York vertreten. An dieser Konferenz treffen sich einmal pro Jahr Vertreter:innen aller Vertragsstaaten der UNO-BRK, um deren Umsetzung zu diskutieren. In diesem Jahr organisierte Inclusion Handicap zusammen mit weiteren Organisationen zum ersten Mal einen der jeweils stattfindenden Side-Events zur Hauptkonferenz. Der Side-Event «The Rights of Persons with Disabilities in Strategic Litigation» vom Montag, 10. Juni 2024 zielte darauf ab, Organisationen von Menschen mit Behinderungen für das Instrument der strategischen Prozessführung zu sensibilisieren. Caroline Hess-Klein, Leiterin der Abteilung Gleichstellung von Inclusion Handicap stellte das Projekt we claim vor, das Inclusion Handicap unter der Trägerschaft seiner Mitglieder verantwortet. Olga Manfredi, Präsidentin der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung und Vorstandsmitglied von Inclusion Handicap, präsentierte einen der bekanntesten Fälle von we claim, den Prozess zu den SBB-Doppelstockzügen FV-Dosto. Der Anlass stiess auf ein reges Interesse und wurde von einem breiten, internationalen Publikum besucht. Der Event konnte per Live-Stream in der Schweiz mitverfolgt werden. Dieser ist unter untenstehendem Link weiterhin verfügbar. 

    Sozialversicherungen

    Kommissionssitzung SGK-S: IV soll realen Beschäftigungsmöglichkeiten Rechnung tragen. Entscheid zu IFEG-Revision vertagt
    Die Sozialkommission des Ständerates (SGK-S) hat sich am 27. Juni 2024 zu mehreren Geschäften beraten, die den Alltag vieler Menschen mit Behinderungen prägen. Erfreulich ist, dass die SGK-S bei der Einschätzung der Beschäftigungsmöglichkeiten von Personen in der IV nicht mehr von einem fiktiven Arbeitsmarkt ausgehen will. Sie hat der parlamentarischen Initiative Kamerzin 23.448 Folge gegeben und will sich damit stärker an den tatsächlich existierenden Jobmöglichkeiten orientieren. IV-Entscheidungen werden damit nachvollziehbarer und die berufliche Eingliederung wird erleichtert. Bei der Revision des Rahmengesetzes IFEG, welches das selbstbestimmte Wohnen von Menschen mit Behinderungen fördern will, hat die SGK-S jedoch einen Entscheid vertagt. Dies ist umso enttäuschender als dass ein neues Rechtsgutachten, das Inclusion Handicap in Auftrag gegeben hatte, eine klare Entscheidungsgrundlage liefert.

    Kommissionssitzung SGK-S: Weitere Abklärungen bezüglich 13. IV-Rente
    In ihrer Sitzung vom 27. Juni 2024 hat sich die SGK-S unter anderem auch mit der Frage der Gleichbehandlung der IV-Rentner:innen im Rahmen der Umsetzung der Initiative für eine 13. AHV-Rente befasst. Die Behindertenverbände sehen die Notwendigkeit einer 13. IV-Rente als klar gegeben an. Dies sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht – über die Hälfte der IV-Rentner:innen benötigt zusätzlich Ergänzungsleistungen – als auch, weil sonst die Einheit der 1. Säule der Existenzsicherung gefährdet ist. Ein rechtliches Kurzgutachten, das Inclusion Handicap in Auftrag gegeben hat, zeigt, dass eine Ungleichbehandlung in der Existenzsicherung von Altersrentner:innen und IV-Rentner:innen verfassungswidrig ist. Inclusion Handicap fordert die SGK-S auf, dies in ihren weiteren Abklärungen zu berücksichtigen.

    Postulatsbericht stellt Handlungsbedarf bei Zugang zu modernen Hilfsmitteln fest
    Das Postulat «Zugang zu modernen Hilfsmitteln sicherstellen» (19.4380) beauftragte den Bundesrat, zu prüfen, welche Anpassungen notwendig sind, damit die von der Invaliden- und Unfallversicherung abgegebenen Hilfsmittel dem technologischen Fortschritt entsprechen. Rund 50% der Hilfsmittelgesuche bei der IV betreffen Hörgeräte – deshalb ist das Postulat insbesondere für Menschen mit Schwerhörigkeit relevant. Der nun vorliegende Bericht des Bundesrats vom 26. Juni 2024 anerkennt den Handlungsbedarf an, was positiv zu werten ist. Inwiefern die vorgeschlagenen Massnahmen zielführend sind, muss in den kommenden Wochen noch geprüft werden.

    Politische Vorhaben

    Unterschriftensammlung für Inklusions-Initiative im Ziel
    Wir haben es geschafft! Gemeinsam haben wir mehr als 105'000 gültige Unterschriften für die Inklusions-Initiative gesammelt. Mit der erfolgreichen Unterschriftensammlung haben wir einen wichtigen Meilenstein für die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen erreicht. Wir danken allen von ganzem Herzen für das riesige Engagement!

    Die Einreichung findet am 5. September 2024 statt. Wir treffen uns um 14.00 Uhr auf dem Bundesplatz in Bern. Ziel ist, dass sich mindestens 1'000 Menschen versammeln, um die Bedeutung der Inklusions-Initiative zu unterstreichen und ein starkes Zeichen für die Inklusion zu setzen.

    Wenn Sie gerne noch weitersammeln möchten, dürfen Sie dies natürlich! Wir freuen uns über jede zusätzliche Unterschrift, die wir einreichen können. Schicken Sie uns bitte alle Unterschriften bis spätestens Ende Juli zurück an: Inklusions-Initiative, Postfach 528, 9430 St. Margrethen.

    Medienspiegel

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