• de
    Bauen
    1.12.2023

    Viel versprochen und zu wenig gehalten

    Im Rollstuhl Bahn, Tram und Bus zu benützen, ist oft noch immer umständlich. Die Politik hat Menschen mit Beeinträchtigungen viel versprochen und zu wenig gehalten.

    Der öV ist noch nicht durchwegs hindernisfrei: Halteknopf für Rollstuhlfahrer in einem Bus. Annick Ramp/NZZ

    Ab 1. Januar besteht in der Schweiz Anspruch auf hindernisfreien Zugang zum öffentlichen Verkehr. Trotz Versäumnissen muss die Umsetzung massvoll erfolgen.

    Der erste Nationalrat im Rollstuhl hiess Marc F. Suter. Nach seiner Wahl 1991 war es dem freisinnigen Rechtsanwalt aus Biel anfänglich nicht möglich, durch den Haupteingang ins Bundeshaus zu gelangen. Er musste auf entwürdigende Weise mit fremder Hilfe den Lieferanteneingang nehmen.

    Sein Nachfolger, wenn man so sagen darf, der Thurgauer Mitte-Nationalrat Christian Lohr, hielt ab 2011 seine Voten im grossen Saal zehn Jahre lang verkabelt von einem speziell eingerichteten Platz aus. Inzwischen ist das Rednerpult absenkbar, und der Contergan-Geschädigte kann selbständig ans Mikrofon treten, genauer: rollen. Aber Lohr musste sich in einem Interview für die Kosten der Anpassung rechtfertigen.

    Heute ist der hindernisfreie Zugang zum Bundeshaus kein Thema mehr. Lohrs Zürcher Fraktionskollege Philipp Kutter setzt, gelähmt nach einem Skiunfall, seine politische Laufbahn in Bern fort. Im Dezember stösst aus Zürich der neugewählte SP-Vertreter Islam Alijaj dazu, dessen Zerebralparese ihn körperlich und beim Sprechen beeinträchtigt. Drei Volksvertreter, das sind 1,5 Prozent des Nationalrats, was ungefähr dem Anteil der Bevölkerung entsprechen dürfte, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

    Neuland für den öffentlichen Verkehr
    Die Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigung erhält in Bern mehr Gewicht. Der Weg ist oft widersprüchlich, das Ziel wird manchmal verfehlt. Persönliche Autonomie, Kosten für die Allgemeinheit und pragmatische Ersatzlösungen prägen auch die Umsetzung des hindernisfreien öffentlichen Verkehrs. Das Thema wird in den nächsten Monaten zu reden geben. Ende Jahr läuft die gesetzliche Frist ab, um jenen, die auf eine Gehhilfe angewiesen sind, den selbstbestimmten Zugang zu Bahn, Tram und Bus zu gewährleisten.

    In den letzten zwanzig Jahren hat sich viel verbessert. Eine Bahnreise durch die Schweiz im Rollstuhl ist mit Abstrichen machbar. Offenkundig ist jedoch ebenso: Flächendeckend ist dieses Ziel nicht erfüllt. Unter Betroffenen steigt der Unmut über Versäumnisse. Mit dem Ende der Frist besteht für sie ein im Gesetz verankertes Anrecht auf einen barrierefreien öV. Wo dies nicht umgesetzt ist, sieht das Gesetz Ersatzmassnahmen vor.

    Den ganzen Bericht finden Sie hier (nzz)