Der Motionstext verlangt, dass sich der Bundesrat bei der Überarbeitung der sogenannten Tabellenlöhne zur Bestimmung des IV-Grads auf anerkannte statistische Methodik und den Forschungsstand abstützt. Aus Sicht der Wissenschaft müsste ein Abzug von 17% erfolgen. Der Bundesrat beschliesst nun einen Pauschalabzug von nur 10%. Damit erfolgt zwar ein Schritt in die richtige Richtung – aber die Motion wird nicht korrekt umgesetzt. Es wurde verpasst, den IV-Grad anhand realistischer und damit korrekter Einkommensmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zu berechnen.
Zur Bestimmung des Invaliditätsgrades werden heute statistische Werte (sogenannte Tabellenlöhne) angewendet, die auf Einkommen von gesunden Personen basieren. Durch diese unrealistische Bemessungsgrundlage werden die Einkommensmöglichkeiten von Personen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung substantiell überschätzt. Das Resultat: deutlich zu tiefe IV-Grade und damit zu tiefe IV-Renten. Für Petra Kern, Abteilungsleiterin Sozialversicherungen bei Inclusion Handicap, ist klar: «Stellt man auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse ab – wie dies auch das Parlament in seiner deutlich angenommenen Motion verlangt hatte –, muss ein Pauschalabzug rund 17% betragen. Je nach Fallkonstellation müssen zudem zusätzlich noch individuelle Abzüge möglich sein.»
Bundesratsentscheid wird der Realität nicht gerecht
Das Parlament gab dem Bundesrat mit einer überaus deutlichen Mehrheit den Auftrag, eine Lösung zu präsentieren, welche sich auf wissenschaftliche Grundlagen stützt. Das setzt der Bundesrat mit dem beschlossenen Pauschalabzug von 10% nur sehr unvollständig um; dies obwohl neben der Wissenschaft auch die Sozialkommission des Nationalrats als Motionärin einen Pauschalabzug von 15% empfohlen hat. Vor dem Hintergrund, dass seit 1.1.2022 mit Ausnahme des Teilzeitabzugs auch keine leidensbedingten Abzüge mehr zugelassen werden, ignoriert der Bundesrat die Wirklichkeit von Personen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung und überschätzt ihre Einkommensmöglichkeiten weiterhin systematisch. Zwar ist der Beschluss ein Schritt in die richtige Richtung, Inclusion Handicap ist aber enttäuscht, dass der Bundesrat die Motion nicht korrekt umsetzt. Aus der Sicht von Menschen mit Behinderungen ist dies unverständlich. Mit zu tiefen Abzügen erhalten viele Personen weiterhin keine Umschulung oder keine bzw. zu tiefe IV-Renten. Immerhin werden mit dem Entscheid des Bundesrats innerhalb der nächsten drei Jahre und somit bis Ende 2026 auch bereits laufende Renten, bei denen der IV-Grad mittels Tabellenlöhnen berechnet wurde, angepasst. Der Dachverband wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass IV-Grad und IV-Renten auf faire Weise berechnet werden.
(Medienmitteilung von Inclusion Handicap)
18.10.2023
Social Bookmarks
Tabellenlöhne: Bundesrat setzt Motion nicht korrekt um
Beinahe einstimmig forderte das Parlament 2022 mit der Motion 22.3377 eine faire Berechnung des IV-Grads.