Zur Verabredung am Bahnhof von Freiburg kommt Jean-Christophe Pilloud mit dem Auto. Sein zehn Jahre alter schwarzer Labrador namens Pics begleitet ihn. Den öffentlichen Verkehr meidet der 54-Jährige, der im Rollstuhl sitzt. «Einen Zug zu nehmen, ist kompliziert. Ich muss meine Fahrt im Voraus ankündigen.»
Im Bahnhof von Freiburg müssen Menschen mit einer Behinderung ihre Fahrt sogar zwei Stunden vorher anmelden, wenn es sich um Regionalzüge handelt. Eigentlich sollten bis Ende 2023 alle Bahnhöfe und Bushaltestellen barrierefrei sein. Das verlangt das Behindertengleichstellungsgesetz, das 2004 in Kraft trat. Doch Transportunternehmen, der Kanton und Gemeinden werden die gesetzliche Frist nicht einhalten.
Keine Lifte
Er spielt auf die Rampen und die fehlenden Aufzüge im Freiburger Bahnhof an. Die Rampen seien steil. «Weil ich fit bin, meistere ich sie. Aber das kann nicht jede Person im Rollstuhl.» Und wenn er Gepäck dabei habe, sei die Rampe auch für ihn ein fast unüberwindbares Hindernis. «Wenn ich hinauf fahre, muss ich mich vorbeugen, um nicht umzukippen. Dabei ist allerdings mein Koffer auf dem Schoss im Weg.»
Rollstuhlclub wehrt sich
Der Club en Fauteuil Roulant Fribourg und dessen ehemaliger Präsident Martin Cotting forderten deshalb Aufzüge für den Freiburger Bahnhof. Diese sollten in der neuen Unterführung, die derzeit im Bau ist, Platz finden. Die SBB wollten jedoch nur Treppen und Rampen errichten. Erst nach Verhandlungen von knapp einem Jahr mit Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen, akzeptierten die SBB diese Forderung und änderten die Baupläne.
Nun nimmt Jean-Christophe Pilloud Kurs Richtung Fussgängerzone. In der Bahnhofsallee weist er auf kleine, aber tückische Löcher im Trottoir hin. Als zu Fuss Gehender beachtet man diese gar nicht. «Wenn ich mit den kleinen Vorderrädern in diese Löcher gerate, kann ich stolpern. Deshalb schaue ich immer, wo sich meine Vorderräder befinden», so Pilloud.
Zügig unterwegs
Zebrastreifen seien mittlerweile gut angepasst. «Die Trottoirs sind eigentlich immer abgesenkt», sagt er und erzählt eine Anekdote, die sich vor über 35 Jahren zugetragen habe: Damals sei er vom Bahnhof unterwegs Richtung Pérolles-Strasse gewesen. «Rollstuhlfahrer sah man in der Stadt nicht oft. Zügig fuhr ich über den Zebrastreifen.» Offenbar sei das für einen anderen Passanten ungewohnt schnell gewesen. «Er schaute überrascht, wie ich ohne Mühe aufs Trottoir rauffuhr. Als ich mich umdrehte, ging er wieder weiter und lief geradewegs gegen den Ampelmast.»
Seit 40 Jahren ist Pilloud im Rollstuhl unterwegs. Es ist die Folge eines Skiunfalls. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte habe es im öffentlichen Raum viele Verbesserungen für Personen mit eingeschränkter Mobilität gegeben, stellt er fest. Als er 17 Jahre alt gewesen sei, sei er mit dem Rollstuhl auf die Tanzfläche eines Clubs gegangen. «Da wurde ich schräg angeschaut. Jemand im Rollstuhl auf einer Tanzfläche, das hatte noch niemand dort gesehen.»
Nicht alles perfekt zugänglich
Angekommen in der Fussgängerzone in der Romontgasse spricht Pilloud über Details, die Personen im Rollstuhl das Leben sichtlich erschweren. Er zeigt auf die Eingangstüren des Manors. «Man muss drücken oder ziehen, um sie zu öffnen. Für Rollstuhlfahrer wären automatische Türen praktischer.» Gleichzeitig habe er Verständnis dafür, dass man nicht alles perfekt zugänglich machen könne. So seien bei historischen Bauten Rampen oder Aufzüge oft nicht möglich, ohne das Aussehen der Gebäude zu verändern. «Das ist meine Meinung. Es gibt auch Rollstuhlfahrer, die verlangen, dass alles zugänglich gemacht wird», so Pilloud. Bei Neubauten sei auch für ihn der Fall ganz klar: «Da muss alles zugänglich gestaltet sein.»
Breite Parkplätze benötigt
Schliesslich geht es zurück zum Bahnhof, um sich angesichts der Kälte dort in einem Café aufzuwärmen. Nun spricht er die Parkplatzsituation an. «Personen im Rollstuhl haben nicht alle dieselben Bedürfnisse. Je nach Einschränkung sind die Anforderungen unterschiedlich.»
Pilloud, der in Bern als Wirtschaftsinformatiker arbeitet, macht zwei Beispiele: «Ich benötige breitere Parkfelder, um ein- und aussteigen zu können. Vom Parkplatz bis zu meinem Zielort kann ich hingegen problemlos einen etwas weiteren Weg zurücklegen.»
Anders sei es bei einer Person mit multipler Sklerose: «Diese braucht einen Parkplatz möglichst in der Nähe ihres Zielorts.» Es gebe auch Behindertenparkfelder, die für alle Betroffenen wenig geeignet seien. Pilloud weist auf das Parkfeld nahe dem Alten Bahnhof hin: «Es befindet sich in einer Steigung, was nicht gut ist. Auch da wäre es besser gewesen, hätte man zuerst die Betroffenen gefragt.»
Text: Jean-Michel Wirtz
Bilder: Aldo Ellena
Verwendung mit Genehmigung von «Freiburger Nachrichten»