Im vergangenen September habe ich mich freiwillig gemeldet, um eine Reise für Mitglieder mit Tetraplegie zu begleiten. Das Prinzip ist einfach: Jeder Reisegast wird rund um die Uhr von einer freiwilligen Person betreut, die ihm bei den alltäglichen Verrichtungen hilft. Ich entscheide mich für einen Badeurlaub in Grado, Italien, ohne Zeitdruck, zum Entspannen und Baden.
Am Abreisetag mache ich mich also früh morgens auf den Weg nach Nottwil, ohne genau zu wissen, was mich erwartet. Wen werde ich betreuen, wird er oder sie ein wenig selbstständig sein, was werde ich genau tun müssen, wer sind die anderen Begleitpersonen, und vor allem, werde ich den Gesprächen auf Schweizerdeutsch folgen können? Meine Fragen zerstreuen sich, sobald ich das Schweizer Paraplegiker-Zentrum betrete.
Mir zugeteilt wurde Stefan: ein sehr fröhlicher, sympathischer und zuvorkommender Freiburger, mit dem ich mich sofort verstehe. Seine Frau vertraut ihn mir an, und obwohl dies mein erster Einsatz ist, versichere ich ihr, dass alles gut gehen wird.
Dann ist es an der Zeit, die ganze Gruppe mit der Hebebühne in den Reisebus der SPV zu befördern. Das dauert eine Weile. Ich sitze neben Stefan und wir nutzen die Fahrt, um das Eis zu brechen. Wir verständigen uns in Hochdeutsch, zum Glück! Auch für ihn ist es ein Abenteuer. Er ist seit drei Jahren auf den Rollstuhl angewiesen, und dies ist sein erster Urlaub überhaupt. Ich verspreche ihm, dass ich alles tun werde, damit er diese Ferien in vollen Zügen geniessen kann.
Mit Polizeieskorte zum Hotel
Die Reise verläuft ruhig und die Zeit vergeht wie im Flug. Am Ende des Tages erfahren wir am Rande der Badestadt, dass uns eine Polizeieskorte zu unserem Hotel begleiten wird, das mitten in der Fussgängerzone liegt. Und so kommt es, dass uns zwei freundliche italienische Motorradfahrer vor den Augen der neugierigen Touristen den Weg durch die Gassen von Grado bahnen. Grossartig!
Kaum hat der Bus vor dem Hotel geparkt, eilt das Personal herbei, um uns beim Ausladen zu helfen. Stefan und ich erkunden unser Zimmer, das sich als ziemlich geräumig erweist. Das Badezimmer und die Dusche sind völlig barrierefrei, was uns ein gutes Gefühl gibt. Um 19.30 Uhr sind wir alle zu einem Willkommensaperitif auf der Terrasse des Hotels eingeladen. Bei Aperol Spritz, Hugo und Limoncello lernen wir die anderen Mitglieder der Gruppe kennen, die alle sehr sympathisch sind. Alle freuen sich, hier zu sein, und wollen tolle Ferien verbringen.
Anschliessend machen wir uns über das riesige Antipasti-Buffet, die italienischen Spezialitäten und die unendliche Auswahl an Gebäck her. Nachdem ich im Umkreis von einem Kilometer fünf Eisdielen entdeckt habe, gebe ich meine Diätpläne auf und beschliesse, la Dolce Vita zu geniessen.
Unsere erste Nacht verläuft so gut, dass ich um 7.30 Uhr erschrocken aufwache, weil ich wie ein Stein geschlafen habe. Auch Stefan hatte eine gute Nacht und nichts gebraucht. Auch die nächsten Nächte sind ruhig und ich bin erleichtert. Ich helfe Stefan bei den Vorbereitungen und wir gehen nach unten, um unser Frühstück einzunehmen. Auch hier erwartet uns ein unglaubliches Buffet: eine grosse Auswahl an Brötchen, Croissants, Joghurt, Marmelade, Obst, Käse, Wurst ... und ein Barista, der uns Espresso, Cappuccino oder Latte Macchiato serviert.
Ich frage Stefan, was er gerne machen möchte. Er antwortet ohne zu zögern: «An den Strand!» Ich packe unsere Sachen zusammen und wir gehen mit ein paar anderen zur «Spiaggia», wo wir Liegestühle und einen Sonnenschirm mit Blick auf das Meer in der Nähe eines Cafés bekommen. Wir setzen uns hin, cremen uns mit Sonnencreme ein und beginnen mit dem, was wir die ganze Woche über tun werden: faulenzen, baden, sonnen ...
Dann überrascht mich Stefan. Er ist einer der Ersten, der schwimmen gehen will. Er will mich also beeindrucken, gut so! Ich hole sofort unsere Schwimmassistenten, die uns einen speziellen Strandrollstuhl bringen, um den Tetraplegiker ins Wasser und wieder hinauszufahren. Das Meer ist ruhig, mit sanften Wellen und einer sehr angenehmen Temperatur von 24 °C. Unser erster Versuch ist erfolgreich: Stefan wird auf den Spezialrollstuhl transferiert und erhält einen aufblasbaren Halskragen. Im Wasser legen wir Stefan eine Schwimmnudel unter die Arme, damit er mit meiner leichten Unterstützung im Wasser schweben und sich schwerelos bewegen kann. Wir bleiben etwa zwanzig Minuten im Wasser, bevor die Kälte spürbar wird. Dann wärmen wir uns in der Sonne auf unseren Liegestühlen auf und beglückwünschen uns gegenseitig zu unserer Leistung.
Von da an ist es für Stefan Ehrensache, zweimal am Tag zu baden, und am Ende hatte er genug Selbstvertrauen, um mit der Kraft seiner Arme zu den Bojen zu schwimmen, die die Badezone begrenzen.
Eine Gruppe, die zusammenhält
Im Laufe der Zeit werden die Beziehungen zwischen den Teilnehmenden immer enger: Wir treffen uns am Strand oder im Café, organisieren Ausflüge, um etwas zu trinken oder Eis zu essen, und gehen eines Abends gemeinsam in der Altstadt von Grado mit ihren hübschen Gassen essen. Wir bewundern wunderschöne Sonnenuntergänge, lachen viel (vor allem nach zwei denkwürdigen, aber harmlosen Stürzen) und verbringen eine wunderbare Zeit. Die Alltagssorgen sind in weiter Ferne.
Wenn man Spass hat, vergeht die Zeit immer viel zu schnell. Am letzten Tag verlassen wir Grado mit Bedauern. Stefan und ich versprechen, in Kontakt zu bleiben und das Erlebnis zu wiederholen, denn unser Tandem hat perfekt funktioniert. Er habe mir voll vertraut – ein schönes Kompliment! Wir sehen uns also wieder für ein neues Abenteuer.
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