Mallorca? Meer? Sonne? Klingt verlockend. Joel Jung zögert zwar mit der Anmeldung, weil er befürchtet, dass die Temperaturen für ihn zu hoch sein könnten. Aber der Reiz des Abenteuers ist eben doch zu gross. Ein paar Ferientage auf der berühmten Baleareninsel, Abstecher an den Ballermann, unbeschwerte Stunden mit Freunden verbringen – nein, die Reise will er nicht auslassen.
«Das kommt schon gut», sagt der 26-Jährige aus Ermensee LU und unterstreicht sein Motto mit einem breiten Lachen. Er ist ein Mensch, der gern mit guter Laune durchs Leben geht. Daran ändert auch der 5. Januar 2020 nichts. Ein Autounfall macht Joel zum Tetraplegiker. Fast fünf Jahre später meldet er, ganz Optimist: «Es rollt wieder.»
Nun also bietet sich die Gelegenheit, nach Mallorca zu fliegen. Andrea Gisler, die als Fachspezialistin Querschnittlähmung zum Team der ParaWG gehört, bringt die Geschichte mit ihrer Idee ins Rollen: Wieso soll nicht einmal eine U30-Gruppe, also Leute unter 30 Jahren, Sommerferien in einem Badeort geniessen?
Das Reiseteam der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung nimmt den Vorschlag auf, arbeitet ein Programm aus und stellt fest, dass ein solches Angebot tatsächlich auf Interesse stösst. Sechs Rollstuhlfahrer wollen sich Mallorca nicht entgehen lassen. Die Delegation umfasst mit Pflegebegleitung, professionellen Pflegenden der ParaHelp und einem Badeassistenten 14 Personen.
Tagwache mitten in der Nacht
Der 6. Juli ist der Tag, der für Joel in der Nacht beginnt. Um 4.30 Uhr klingelt sein Wecker, um 5.45 Uhr chauffiert ihn sein Vater Urs aus dem Luzerner Seetal an den Flughafen in Kloten. Um 7 Uhr trifft sich die SPV-Reisegruppe, etwas mehr als drei Stunden später hebt die Maschine Richtung Palma de Mallorca ab. In 1000 Kilometer Entfernung herrscht ein angenehmes Klima. Der Transfer vom nahen Flughafen zum Hotel an die Playa de Palma klappt reibungslos wie alles, was danach kommt.
Die Unterkunft bietet eine Infrastruktur, die von den Schweizer Gästen geschätzt wird: grosszügige Zimmer, keine Teppiche, keine unüberwindbaren Hürden und ein Pool, der keine Wünsche offenlässt. Zu den Annehmlichkeiten zählt auch die Halbpension mit einem reichhaltigen Buffet. Zwischendurch gönnt sich die Reisegruppe eine Köstlichkeit in einem Restaurant ausserhalb der Hotelanlage. Meeresfrüchte-Liebhaber wie Joel kommen jederzeit auf ihre Kosten.
Der neue Spanien-Fan
Eingeläutet wird die Woche mit einem ersten Abstecher an den Strand, gefolgt von Fussball. Die Schweiz spielt im EM-Viertelfinal gegen England, und Joel ist, wie alle anderen auch, mit Leidenschaft dabei. Das Mitfiebern hilft zwar nichts, die eigene Mannschaft verliert in einem nervenaufreibenden Penaltyschiessen, aber Joel weiss sich zu helfen. Er kauft sich ein Trikot der Spanier und drückt fortan ihnen die Daumen.
Die Woche ist geprägt von süssem Nichtstun. Oder in den Worten des jungen Luzerners: «Chillen war angesagt. Ich schlief aus, und nach dem ausgiebigen Frühstück trafen wir uns meistens am Pool.» Er mag das Wasser, wobei er das Baden im Pool vorzieht. «Einmal wagte ich mich ins Meer, das auch für uns Rollstuhlfahrer gut zugänglich war. Und notfalls hätten wir immer Hilfe von anderen Touristen bekommen. Aber als nicht so versierter Schwimmer fühlte ich mich im Pool sicherer.»
Der Tag endet für die Jungs nicht, wenn die Sonne untergeht. Sie tauchen zwischendurch in die Welt des Ballermanns ein, nur wenige Minuten von ihrem Hotel gelegen. Dort trifft sich das junge Partyvolk, dort verbringen auch die sechs Kollegen aus der Innerschweiz samt Begleitpersonen die eine oder andere lustige Stunde. Zieht die Gruppe mit den Rollstühlen die Aufmerksamkeit auf sich? «Ich merke gar nicht mehr, wenn ich angeschaut werde», erklärt Joel. Lieber kostet er die Momente aus und schaut nicht auf die Uhr. Marco Michel, auch ein Reiseteilnehmer, bemerkt: «Joel hat endlos Energie.»
Die Batterien sind aufgeladen
Der gelernte Maurer, der nach dem Unfall eine Teilzeitstelle im Büro eines Tiefbauunternehmens fand, schwärmt von der Stimmung innerhalb der Reisegruppe. «Wir verstanden uns alle bestens. Und das Schöne war, dass jeder tun und lassen konnte, was er wollte», sagt Joel, «ich konnte meine Batterien aufladen.»
Sind Sie interessiert mit der SPV in die Ferien zu fahren?
(von Peter Birrer, Paracontact 3/2024)